Einen gemütlichen Latte Macchiato auf dem Markusplatz, dabei den Musikern des berühmten
Café Florian lauschend, inklusive Blick auf den Dom. Danach mit der Gondel in den Sonnenuntergang, leise plätschernd durch pittoreske Kanäle, gesäumt von eindrucksvollen Villen… So in etwa stellen wir uns eine Reise nach Venedig vor. In der Realität können wir in der Hochsaison angesichts der vielen Gondeln und Barkassen beinah trockenen Fußes über die Kanäle wandern, überall herrscht ein lautes Gehupe und Geschrei, auf dem Markusplatz drängen sich mehr Menschen als Tauben.
Viele der schönsten Plätze der Welt sind lange keine Geheimtipps mehr. Unter dem Schlagwort Overtourism werden all die Probleme zusammengefasst, die touristische Hot Spots wie Venedig, Amsterdam oder Barcelona an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen. Die Destinationen und ihre Bewohner wollen und können nicht ohne Besucher, doch ertragen den Massenansturm in den Hochsaison-Zeiten immer weniger. Venedig nimmt nun Eintrittsgelder für Tagestouristen, Amsterdam verbannt Kreuzfahrtschiffe aus dem Hafen und will das Rotlichtviertel verlegen, Barcelona versucht via App, die Besucherströme stadtverträglicher zu lenken.
Begleitet uns mit unserer dreiteiligen Serie auf eine Reise durch die Overtourism-Krisenorte Venedig, Barcelona und Amsterdam. Wir zeigen Euch, wie Ihr die natürlich dennoch sehenswerten Top-Ziele besuchen könnt, ohne weiter an deren fragilem Ast zu sägen. Zudem haben wir zu jeder der Hot-Spot-Destinationen einige Alternativen im Gepäck, die sich ebenfalls sehen lassen können.
Venedig
Venedig ist eine Lagunenstadt, die auf mehr als 100 Inseln erbaut wurde. Rund 400 Brücken verbinden die Inseln, und daher fließen durch Venedig unzählige Kanäle – von ganz schmal bis ziemlich breit, wie der berühmte Canale Grande.
Kaum einer anderen Stadt in Europa hat der Massentourismus im vergangenen Jahrzehnt dermaßen zugesetzt wie Venedig. Schuld daran waren nicht zuletzt die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die noch bis 2021 mitten in der Stadt am Markusplatz anlegen durften. Tausende Menschen, die gleichzeitig in die historische Altstadt strömen und außerdem fast kein Geld ausgeben, weil sie an Bord ja all inclusive haben: Das ist das Gegenteil eines nachhaltigen Tourismus.
Während der Pandemie konnte die Welt aus der Ferne Venedig beim Durchatmen zusehen: Die Kanäle erholten sich, der Müll verschwand, die Luftqualität verbesserte sich. Doch leider blieb das nicht von Dauer. Venedig bleibt nach wie vor extrem beliebt – und braucht ja auch die Besucher, jedoch in Maßen.
Venedig, mystisch im Nebel
Wer eines der meistbesuchten Ziele der Welt besuchen möchte, ohne Teil des Overtourism-Problems zu werden, reist am besten außerhalb der Saison. Es gibt einige Gründe, die dafür sprechen:
- Außerhalb der Reisesaison sind die Destinationen weniger überfüllt.
- Preise und Kosten für den Urlaub sind günstiger: Hotels haben in der Nebensaison niedrigere Übernachtungstarife.
- Der Andrang ist nicht so groß, somit ist die Gefahr, dass das Wunschhotel bereits ausgebucht ist, deutlich geringer.
- Die Menschen vor Ort sind weniger genervt.
- Man erlebt die Stadt nicht im typischen „Insta-Modus“, sondern sieht sie einmal wortwörtlich in einem anderen Licht, im November beispielsweise nebelverhangen und mystisch.
Unser Tipp: Besucht das Juwel im Winter. Und außerhalb von Feiertagen. Wenn möglich nicht am Wochenende. Karneval in Venedig? Bitte nicht. Lieber den Novembernebel über den Kanälen eingemummelt in den Gondeln genießen.
Übrigens: Das kürzlich beschlossene "Eintrittsgeld für Venedig" gilt nur für Tagesgäste. Solltest du also einen Venedig-Kurzurlaub im Winter planen mit ein paar Übernachtungen, bist du davon freigestellt. Wer Venedig im Winter besucht, muss wissen und mögen, dass es kalt sein wird in der Lagunenstadt. Man muss sich warm anziehen, es gibt weniger Tageslicht und einige Cafés, Restaurants oder Hotels haben eventuell geschlossen. Doch die Top-Sehenswürdigkeiten und meisten Läden sind offen, denn es ist immer noch genug los.
Um beliebte Sehenswürdigkeiten wie etwa den Markusplatz möglichst leer zu sehen, empfehlen wir dir in jedem Fall, nicht nur als Tagestourist:in nach Venedig zu reisen. In den frühen Morgenstunden, zum Sonnenaufgang, hast du eine Chance, Venedig fast ohne Menschenmassen zu genießen. Da die Stadt relativ überschaubar ist, kannst du schon mit einem Aufenthalt von zwei Nächten viel von dem erleben, was die Lagunenstadt so einzigartig macht.
Unser Tipp: Reserviere dir deine Eintrittskarten für die Besichtigung der wichtigsten Highlights schon vor deiner Reise online. So ersparst du dir langes Anstehen vor Ort in der Kälte und kannst die Warteschlangen überspringen. Offizielle Tickets für den Dogenpalast und den Markusdom kannst du online buchen, mitunter auch mit kostenfreier Storno-Option bis 24 Stunden vorher.
Im Winter kommt es in der Stadt häufig zum Acqua alta, dem "hohen Wasser", das Teile Venedigs regelmäßig überflutet, nicht immer zur Freude der Einwohner:innen. Besucher:innen in Gummistiefeln gewinnen diesem Naturereignis unter Umständen jedoch sogar etwas ab, sofern es sich nicht um Extremwasserstände handelt. Hier können wir auch etwas Demut spüren im Angesicht der offensichtlichen Folgen des Klimawandels: Der steigende Meeresspiegel wird auf Sicht für die Lagunenstadt verheerend sein.
Tipp Unterkunft:
Wählt alteingesessene Hotels und Frühstückspensionen: Hier besteht eine Chance auf „echte“ Begegnungen und einen Einblick in den Lebensstil der Bewohner. So raubt ihr auch den Einheimischen keinen dringend benötigten Wohnraum, denn unter den mit „Urlaub bei Freunden“ umschriebenen Airbnb-Optionen stehen häufig Immobilienhaie hinter den Offerten.
Venedig-Tipps:
Gondel-Werkstatt Squero di San Trovaso
Zwischen den urigen Gässchen und kleinen Kanälen liegt ein kleines Highlight: An der Zattere (Uferpromenade in Dorsoduro) findest du noch eine echte Gondel-Werkstatt. Die Squero di San Trovaso ist immer noch in Betrieb. Die Werkstatt liegt am Kanal Rio San Trovaso, von gegenüber kann man den Arbeitern zuschauen, wie sie die weltberühmten Gondeln bauen. Zu besichtigen ist die Werkstatt jedoch nicht und sonntags geschlossen. Trotzdem lohnt sich ein Abstecher; gegenüber lockt außerdem eine kleine Bar mit Leckereien.
Libreria Acqua Alta
„The most beautiful book shop in the world“ heißt es auf dem Schild vor dem Eingang. Das klingt selbstbewusst, aber die Buchhandlung ist wirklich ungewöhnlich. Der Charme ist sehr eigen und originell, inklusive der kleinen Buch-Terrasse an der Hinterseite des Ladens, die sich zu einem der begehrtesten Instagram-Fotospots Venedigs gemausert hat. Der Buchladen Libreria Acqua Alta (übersetzt Buchladen Hochwasser) liegt mitten in Venedig, hier gibt es vor allem Bücher, aber auch Bilder, Zeichnungen und Postkarten. Das Buchgeschäft wird häufig von dem berühmten Hochwasser in Venedig heimgesucht. Wohl deshalb sind viele Bücher in so ungewöhnlichen Behältern wie Gondeln, kleinen Schiffen, Badewannen und Fässer: Sie sollen nicht nass werden.
Rooftop-Terrasse des Einkaufszentrums T Fondaco dei Tedeschi
Ein kleiner Geheimtipp unter den schönsten Aussichtspunkten Venedigs ist die Dachterrasse des beliebten Einkaufszentrums T Fondaco dei Tedeschi. Direkt oberhalb der Rialtobrücke gelegen, beschert sie dir einen fantastischen 360-Grad-Blick über Venedig. Der Zugang ist kostenlos, du brauchst nur eine Reservierung.
Venedig-Alternativen:
Chioggia
Die kleine Fischerstadt in der Lagune von Venedig, nur 50 Kilometer südlich von Venedig entfernt, ist stolz auf eine pittoreske Altstadt inklusive Kanälen, Brücken, Stegen und viel Flair. Zudem hat Chioggia mit Sottomarina einen ortseigenen Badestrand, den man zu Fuß erreichen kann. Am besten läufst du zu Fuß über eine der Brücken in die Altstadt. Hier fühlt man sich wie in Venedig, nur abseits der Hauptgassen: Kleine Cafés am Ufer der ruhigen Kanäle, Wäsche, die zwischen den Häusern trocknet und Fischkutter mit dem Fang des Tages. Am schönsten ist der mittlere Kanal Vena, der unter der Brücke Ponte di Vigo in die Lagune mündet.
Cesenatico
Etwa 180 Kilometer südlich von Venedig, zwischen Ravenna und Rimini an der Adriaküste, liegt Cesenatico. Der Ort ist zwar keine Lagunenstadt, erinnert aber mit zwei großen Kanälen sehr an Venedig. Zum Parken bietet sich ein großer Parkplatz vor der Altstadt an. Von hier aus sind es nur wenige Meter bis zum Kanal Porto Canale Leonardesco, der die Altstadt bis zum Meer durchzieht.
Treviso
Treviso liegt nicht am Meer, dennoch ist erinnert vieles an Venedig. Etwa 40 Kilometer nördlich der Lagunenstadt findest du die malerische, von einer Stadtmauer eingeschlossene Altstadt, durch die sich viele kleine Kanäle ziehen, die von mehreren Flüssen gespeist werden. Zahlreiche Restaurants sind über die gesamte Altstadt verteilt, in denen du die authentische italienische Küche genießen kannst. Angeblich ist das Tiramisu hier entstanden, und die Region ist landesweit für ihren Prosecco bekannt.
Wir hoffen, dass du deine persönlichen Favoriten für Venetien findest – ohne in der Masse unterzugehen. Beim nächsten Mal fassen wir sozial- und umweltverträgliche Tipps für den Hot Spot Barcelona zusammen.